Leseprobe T'Cai II- Die Rückkehr, Buch 1 "Das Urteil"

Zeit war schon etwas Ungewöhnliches. Sie entzog sich jeglicher Kontrolle. Manipulationen, wie aufhalten oder beschleunigen, waren ebenso fruchtlos wie unnütz. Zeit schien ein unendlicher Fluß. Sie floß schon seit Jahrmilliarden dahin, ohne dass sie jemand oder etwas aufhalten konnte. Zeit konnte glücklich machen, aber auch grausam sein. Sie bestimmte über Leben und Tod, Momente des Zusammenfindens und Momente der Trennung. Doch unbeeindruckt davon floß sie weiter dahin, in einem konstanten Strom.
Wieviel Zeit war vergangen, seit sie hier war? Tage, Wochen oder Monate? Es fiel ihr schwer, ihre Gedanken zusammenzuraffen, sich zu konzentrieren. Seit Tagen flossen sie ständig fort, entzogen sich bewußt ihrer Kontrolle. Der Zustand zwischen Wachen und Schlafen verschlang sie jeden Tag ein wenig mehr. Die Zwischenwelt war so verlockend. Hier spürte sie den Hunger, die Kälte und die Einsamkeit weniger. Hier war es hell, voller Bilder und Gedanken, die so frei waren wie nie zuvor. Niemals zuvor konnte sie ihre Gedanken so spielen lassen, daß sie sich verselbständigten und in bisher unerreichbare Welten ihres Selbst drangen.
Sie wünschte sich so zu sterben, einfach von ihrer Reise in die Traumwelt nicht mehr zurückzukehren. Doch ihr Körper gab einfach nicht auf. Sie öffnete müde die Augen. Es war dunkel, nur das schwache Licht der Sterne, das durch die Luke drang, schaffte so etwas wie Helligkeit. Trotzdem konnte sie in der Kapsel kaum mehr als ein paar Konturen ausmachen.
Ein Schauer überfiel sie. Daraufhin rollte sie sich noch enger in der wärmenden Decke zusammen. Nachdem in der letzten Zeit die Heizung ausgefallen war, war es noch unangenehmer in der Fluchtkapsel geworden. Wenigstens funktionierte die Sauerstoffaufbereitung noch, was sie nicht zuletzt ihrem technischen Verstand verdankte. Aber in der Zwischenzeit war sie sich nicht sicher, ob es eine gute Idee gewesen war, das System zu optimieren. Sie bezweifelte, daß erfrieren und verhungern ein schönerer Tod war, als zu ersticken. Vielleicht wäre es sogar besser gewesen, der fehlgeleitete Phaserschuß hätte die Rettungskapsel ganz getroffen und nicht nur Antrieb und Kom-Einheit beschädigt – Sicher ein Grund dafür, daß man sie nicht gefunden hatte. Es gab so viele Trümmer nach der Schlacht von Wolf 359, so daß eine beschädigte Rettungskapsel nicht sonderlich auffiel.
Sie erinnerte sich an die vielen Stunden, in denen sie gehofft hatte, endlich entdeckt und geborgen zu werden. Aber nach und nach hatte sich diese Hoffnung zerstreut.
Wenn der Antrieb zu reparieren gewesen wäre, hätte sie es sicher bis zum nächstgelegenen Planeten geschafft, aber so trieb sie ab und verlor sich in den Weiten des Alls.
Der einzige Schwachpunkt in all der Zeit war die Einsamkeit. In den ersten Tagen hatte sie sie noch als tröstend empfunden, doch später war es zur Belastung geworden. Irgendwann dann unerträglich, aber nun war sie zu schwach, zu teilnahmslos, als daß es noch etwas gab, daß sie irgendwie berührte.
Sie schloß die Augen und lächelte. Was für ein Schicksal – sie würde dort sterben, wo sie sich am meisten zu Hause fühlte – im All. Wärme durchflutete sie. Die vulkanische Wüste tat sich wie ein Garten der Trostlosigkeit vor ihr auf. Sie entdeckte zwei Gestalten am Horizont. Als sie wie im Flug näher kam, erkannte sie Iru-aiya. Das schwarze Pferd schickte ein Wiehern über die weite Ebene. Ein junger Mann stand daneben und streckte ihr die Hände entgegen. – Saduk? War das tatsächlich der vulkanisch-romulanische Außenseiter, den sie geliebt hatte und der durch ihre Waffe gestorben war. Es lag ein verzeihender Ausdruck auf seinem Gesicht. Sie berührte ihn, versuchte sich so seiner Realität zu versichern. Sie spürte das Verlangen loszulassen und in seine Arme zu sinken...Es war so einfach...so einfach...
Etwas vibrierte, schüttelte sie. Ein vulkanisches Beben? Sie sah zurück und erkannte das Innere der Fluchtkapsel. Helles weißes Licht strahlte durch die Luke. Nein! Saduk! Schnell wandte sie sich um, wollte beenden, was sie begonnen hatte, doch er war weg. Selbst die vulkanische Wüste schien sich unter ihren Füßen in die dunklen Umrisse der Kapsel zu verwandeln. Sie begann zu schreien: "Komm zurück, komm zurück!" Doch sie war sich nicht sicher, ob jemand sie hörte...
Licht – Sie kniff die Augen schmerzhaft zusammen. Wärme umfing sie und neue Luft. Das diese übelriechend war, ging in ihrem aufgeregten Bewußtsein unter. Sie wollte doch nur zurück zu Saduk. Nur am Rande spürte sie, wie jemand sie betastete und ihr gierig den Kommunikator entriß. Anschließend trug man sie wohl aus der engen Kapsel. Die ganze Zeit über hielt sie die Augen geschlossen, hoffte so, zu Saduk in die Wüste zurückkehren zu können. Doch es blieb nur ein Wunsch. Das Schicksal hatte entschieden. Sie war noch nicht am Ende ihrer Reise. Im Gegenteil, sie hatte gerade erst begonnen.