Leseprobe T'Cai II- Die Rückkehr, Buch 2 "Seelenfindung"

Als Spock sich auch nach drei Tagen weigerte, das Zimmer zu verlassen, blieb Sarek keine andere Wahl als einzuschreiten. Er betrat den abgedunkelten Raum resoluten Schrittes und betätigte als erstes die Jalousienkontrollen. Das dunkle Material färbte sich langsam transparent und ließ das Licht der vulkanischen Sonne hereinstrahlen.
"Nein! Nicht!" protestierte eine Stimme schwach, die aus einer entlegenen Ecke des Zimmer zu kommen schien.
Sarek richtete seine Aufmerksamkeit in die entsprechende Richtung und erschrak. Die dort kauernde Gestalt wies keinerlei Ähnlichkeit mehr mit der Person auf, die einmal sein Sohn gewesen war. Das ehemals schon schmale Gesicht, war ausgezehrt und hohl. Die untere Gesichtshälfte bedeckte ein dichter Teppich von Haaren und die Augen lagen glanzlos und leer in tiefen dunklen Höhlen. Es kostete Sarek sehr viel Mühe, den Schock zu verbergen, der ihn beim Anblick seines Sohnes ereilt hatte, doch der Gestalt am Boden schien selbst das vollkommen egal zu sein.
"Sp'chk!" Der ältere Vulkanier wählte den vulkanischen Klang des Namens, was auf die Ernsthaftigkeit der Worte hinweisen sollte, die folgen würden. "Es kann nicht so weitergehen, mein Sohn. Es ist an der Zeit, die Emotionen des Verlustes zu begraben und ins Leben zurückzukehren."
"Welches Leben!" konterte die müde Stimme sarkastisch.
"Das Leben, daß Du bisher gelebt hast, auch vor Deiner Beziehung zu Sahra. Die Studenten an der Akademie sind auf Deine Tätigkeit angewiesen. Willst Du sie enttäuschen?"
"Sahra war meine einzige Studentin!" erwiderte Spock trotzig.
Sarek trat auf ihn zu und erklärte laut und mit harter Stimme: "Aber sie ist tot Spock."
"Neeiinn!" schrie der jüngere Mann, verzog das Gesicht zu einer schmerzenden Grimasse und hielt sich die Ohren zu.
Sarek packte ein Gefühl aus Mitleid und Zorn. Wie konnte sich sein Sohn so unbeherrscht benehmen?! Wie konnte er vergessen, daß er Vulkanier war?! Doch am meisten ärgerte es ihn, daß er aufgrund des Verhaltens seines Sohnes ebenfalls nahe daran war, seine Selbstbeherrschung zu verlieren. Es reichte ihm, er mußte dem jetzt ein Ende setzen. Schnell trat er auf seinen Sohn zu, umfaßte mit den Händen dessen Oberarme und zog ihn mit Wucht auf die Füße. Doch sein Sohn leistete Widerstand, versuchte aus der Umklammerung zu entkommen. Trotz des geschwächten Zustands von Spock kostete es dem alten Vulkanier sehr viel Mühe, sich den Kräften seines Sohnes zu widersetzen.
"Reiß Dich zusammen Spock!" warnte Sarek laut. Aber Spock gab nicht auf. Er schrie, weinte und unternahm große Anstrengungen, um aus den Fängen seines Vaters freizukommen.
Das Folgende fiel Sarek so schwer, wie nie zuvor etwas in seinem Leben, und es berührte sein Innerstes zutiefst. Doch es schien in jenem Augenblick das einzige zu sein, was seinen Sohn zur Vernunft und in die Realität zurückbringen konnte. Er zog ihn nah an sich heran, legte die gesamte Kraft in seine Arme und stieß seinen Sohn von sich weg, ohne ihn loszulassen.
Spocks Körper prallte rücklings gegen die Wand. Der harte Aufprall preßte mit dumpfen Schlag die Luft aus den Lungen des Jüngeren, so daß dessen Schreie abrupt verstummten.
"Spock!" Es war nicht mal Sarek klar, wie sehr seine Stimme zitterte, als er den Namen seines Sohnes nannte. Spocks Augen schienen klarer zu werden und seine Bewegungen waren erschlafft. Ganz plötzlich war es sehr still im Raum geworden. Nur das leise Keuchen Spocks drang zu ihm vor. "Es tut mir leid", flüsterte der alte Vulkanier, "aber ich mußte das tun." Er nahm seine Hände von Spocks Armen und beobachtete, wie der jüngere Mann völlig bewegungslos stehenblieb. "Der Traum ist vorbei, mein Sohn. Es ist an der Zeit aufzuwachen", suggerierte er ihm nach einer Weile.
Das schwache Nicken von Spock war das erste Zeichen eines Sieges der Vernunft. Doch für Sarek war es einer der bittersten Siege, die er je errungen hatte. Er wandte sich beschämt ab und ging zur Tür. Erst jetzt bemerkte er die Person, die dort stand und deren Gesicht von Entsetzen gezeichnet war. Perrin hielt die Hände vor den Mund, um das Schluchzen zu unterdrücken. Doch Sarek sah die feuchten Flecken auf ihrem Gesicht, die sich nur allzu deutlich dort abzeichneten. Wie konnte er seiner Partnerin je erklären, was er gerade getan hatte? Er vermochte es nicht und würde es auch nie können. Seine Gestalt straffend ignorierte er ihren emotionalen Ausbruch und verließ mit großen Schritten den Raum.